Mittwoch, 23. Januar 2013

Der Geschmack von Rost und Knochen


Der Geschmack von Rost und Knochen ist ein außerordentlicher Liebesfilm des französischen Regisseurs Jacques Audiard - ein Film, der übersehen wurde und das gleich zweimal. Weder bei den Filmfestspielen in Cannes noch bei den Golden Globes konnte der Film mit Marion Cotillard in der Hauptrolle einen der begehrten Preise gewinnen. Es kommt noch schlimmer: Für einen Oscar ist der Film gar nicht nominiert. Um zu verstehen, warum das eine schreiende Ungerechtigkeit ist, fängt man am Besten mit der Geschichte an.

Alain, kurz Ali (Matthias Schoenaerts), flüchtet aus dem Norden in den Süden Frankreichs. Er ist ein Hüne von beeindruckender physischen Präsenz. Zusammen mit seinem kleinen Sohn kommt er bei seiner Schwester unter. Ali ist wohl das, was man am ehesten einen Landstreicher und Herumtreiber nennen kann. Als Türsteher einer Diskothek verdient er zunächst sein Geld und lernt dabei die schöne Stephanie (Marion Cottillard) kennen, die vor dem Club in eine Schlägerei verwickelt wird. Er bringt die Betrunkene nach Hause und lässt ihr seine Nummer da, falls sie sich wieder melden möchte. Wahrscheinlich hätte sie das nie getan, denn so richtig gefunkt hat es zwischen den Beiden nicht. Doch einige Zeit später ändert sich Stephanies Leben schlagartig: Sie arbeitet in einem Sea Life Centre und animiert dort Killerwale zu Kunstücken für die Zuschauer. Eines Tages gerät eine Show außer Kontrolle, sie fällt ins Becken und verliert beide Unterschenkel. Von nun an muss sie ihr Leben im Rollstuhl bestreiten.

Im Vergleich zum ebenfalls aus Frankreich stammenden Ziemlich beste Freunde ist Der Geschmack von Rost und Knochen aber keine Komödie, im Gegenteil, Stephanie stürzt in eine tiefe Depression und verliert ihren Lebensmut. Aus der strahlenden Schönheit wird ein körperliches und seelisches Wrack. In ihrer Verzweiflung meldet sie sich bei Ali, der sie aus ihrer trostlosen Sozialwohnung hinaus in die Welt bringt und mit ihr zum Strand fährt. Als sie mit ansehen muss, wie dieser ins Meer springt, überkommt sie neue Zuversicht und lässt sich von ihm ins Wasser tragen. Eindrucksvoll vermittelt Cotillard, wie neue Lebensfreude in die abgemagerte Stephanie fährt.

Man könnte vermuten, dass der Film von da an in eine kitschige Liebesschnulze abdriftet - mitnichten. Regisseur Audiard beschreibt die Annäherung zwischen den beiden so unterschiedlichen Charakteren völlig unsentimental. Ali, der sein Geld auch mit brutalen Zigeunerkämpfen verdient, bei denen es ohne Regeln zugeht, ist ein gleichgültiger Mensch. Beinahe ein wildes Tier, das seinen Urinstinkten folgt, um zu überleben. Sein Sohn ist da eher ein notwendiges Übel, das er erträgt, nicht weil er will, sondern muss. Ali fragt Stephanie völlig selbstverständlich, ob er mit ihr schlafen soll, damit sie danach weiß, ob das noch geht. Menschliche Bindungen scheinen ihm fremd. Er ist ein von der Gesellschaft Ausgegrenzter, dem es gelingt, Stephanie wieder in das Leben zurückzuholen. Zusammen sind sie stärker als jeder für sich alleine. Sie ziehen sich an und stoßen sich ab. Sie ist bei seinen Kämpfen dabei, bekommt Prothesen und lernt zu laufen. Er lässt sie immer näher an sich heran - der Schläger und die Behinderte lernen einander zu lieben. Im Verlauf des Filmes immer ein Stückchen mehr, aber bis kurz vor Schluss nie ganz.

Der Geschmack von Rost und Knochen ist wuchtig und gleichzeitig poetisch. Grausam und wunderschön im selben Moment. Man wünscht beiden Figuren, dass sie zusammen im Leben ankommen, doch während man hofft, ahnt man, dass sie es schwer haben werden. Ebenso wie man vergebens hofft, dass dieser Film noch große Filmpreise gewinnen wird, die ihm aufgrund seiner Qualität zustehen.

DER GESCHMACK VON ROST UND KNOCHEN bzw. DE ROUILLE ET D'OS von Jacques Audiard (R, B) und Thomas Bidegain (B), Frankreich/Belgien 2012, IMDb, RT, FZ. Bildrechte: © Wild Bunch

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