Mittwoch, 14. November 2012

Skyfall [Doppelkritik]


Die lange verzögerte/erwartete Rückkehr von James Bond wird weitgehend sehr positiv gesehen, was jedoch nicht alle ZFX-Schreiber vorbehaltlos unterschreiben können - deswegen eine Doppelkritik.

I. "Analogheld" von Tobberich


Mal wieder ein neuer Bond. Die Nummer 23. Meine persönliche Geschichte mit dem Geheimagenten Ihrer Majestät begann 1995 mit Pierce Brosnan in GoldenEye, den ich auch retrospektiv noch für einen der Besten der Reihe halte. Nun also das dritte Abenteuer mit Daniel Craig.

Worum geht's? Sagen wir mal: Die Geheimdienstkacke ist am Dampfen. Der britische Geheimdienst MI6 unter der Führung von M (Judie Dench) hat eine supergeheime Festplatte mit den Klarnamen aller NATO-Agenten verloren. Auch Bond konnte den Diebstahl nicht verhindern, schlimmer noch, er wird zu Beginn des Filmes angeschossen und kehrt nach kurzer Auszeit als körperliches und seelisches Wrack zurück ins Königreich. Indes steht es nicht gut um den MI6: Das Hauptquartier wird gesprengt, ein neuer Chefaufseher (Ralph Fiennes) installiert und der politische Druck auf M endlich zurückzutreten wächst. Bond muss nun herausfinden, wer die Festplatte gestohlen hat und warum er dem MI6 so massiv schaden will. Nach kurzer Weltreise in Richtung Asien hat er Raoul Silva (Javier Bardem), den Drahtzieher des Manövers, scheinbar geschnappt: Silva sitzt im Hochsicherheitstrakt des MI6. Mit seiner gelungenen Flucht spitzt sich die Lage jedoch nur noch umso mehr zu.

Auch wenn ich hier eventuell den Spannungsmoment meiner Rezension vorwegnehme: Skyfall ist einer der besten Bond-Filme, den ich bis jetzt gesehen habe. Bereits Casino Royale, die erste Auflage mit Daniel Craig, war eine Wohltat nach den völlig ausufernden Spektakeln, in denen Pierce Brosnan nach GoldenEye mitwirkte. Der zweite Film mit Craig, Ein Quantum Trost, war dann eine Enttäuschung, zumindest konnten meine Augen dem Schnittstakkato auf der Leinwand kaum folgen. In Skyfall wird die Schnittfrequenz etwas zurückgeschraubt und auch sonst einiges anders gemacht.

So oft wie Bond und M betonen, die Dinge wieder auf die altmodische Art regeln zu wollen, muss es auch beim letzten Zuschauer ankommen, dass Regisseur Sam Mendes (American Beauty) mit Skyfall einen anderen Zugang wählt als seine Vorgänger. Und der funktioniert: Wo Bond früher in 90 Minuten um die Welt jagte, um Bösewichte zu fassen, spielt ein Großteil der Handlung nun in Großbritannien. Lakonische Reminiszenzen auf frühere Werke durchziehen den gesamten Film und zünden fast immer.

Bond kehrt zu seinen Ursprüngen zurück, verkörpert den Agenten klassischen Typus. Mehr als das: Bond ist gebrechlich, macht Fehler, seine Hand zittert, wenn er zum Schießen ansetzt und die Kondition war auch schon besser. Mendes inszeniert ihn als analogen Helden in einer digitalen Welt. Online- und Offline-Welt stehen sich gegenüber, personifiziert durch Bond auf der einen und einen genialisch aufspielenden Javier Bardem auf der anderen Seite. Überhaupt Bardem: Was für ein Bösewicht, ein Lausbub mit tiefgreifendem Mutterkomplex - wunderbar! Homoerotische Annäherung an Bond, dass muss man sich erst einmal trauen.

Und sonst: Ein neuer Q (Ben Wishaw), der als digitaler Zauberer Bond aus der Zentrale heraus unterstützt. Passend zum Konzept des analogen Recken gibt er Bond nur zwei minimalistische Gadgets mit auf den Weg: Peilsender und Walther PPK - that's it - und spielt darauf an, dass sie so etwas wie explodierende Kugelschreiber (GoldenEye) schon lange nicht mehr herstellen.

Mendes schafft es mit der Rückbesinnung auf die Fähigkeiten eines analogen Helden und der geschickten Verflechtung in die Gesamtgeschichte der Saga einen fulminanten und mit starken Bildern ausgestatteten Beitrag zum 50jährigen Bondjubiläum abzuliefern.

II. "Aufgetakelt" von HomiSite


Die eigene Identität, der Platz im Leben - mit der Lizenz zum Töten im Auftrag Ihrer Majestät sollten dabei keine Zweifel herrschen. Die Aufgabe und damit die Stellung ist seit Jahrzehnten dieselbe - "rette die Cheerleaderin, rette die Welt", wie es andernorts einmal hieß, und obschon den weiblichen Bekanntschaften von James Bond oft kein Glück beschieden war, so erfolgreich war "007" beim Weltretten. Während Sean Connery oder Roger Moore noch den britischen Agenten verkörperten, waren Grenzen und Weltbilder eindeutig und unveränderlich. Und als Pierce Brosnan in den 1990ern von Remington Steele zu James Bond wurde, waren die Filme zunächst vom Ende des Kalten Krieges und einer unklaren Zukunft geprägt, verloren sich dann in spezialeffektvoller Hemmungslosigkeit um die Jahrtausendwende. Nur vier Jahre währte dann die Leinwandabstinenz der Geheimdienstikone, unterdessen zeigten jedoch andere, wie moderne Agentenaction aussieht. Seitdem kämpft Daniel Craig als aktueller Bond um die Kinobedeutung von Ian Flemings Figur und ließ 2008 in Ein Quantum Trost erkennen, dass abgekupferte Inszenierung, realistischerer Stil und jahrzehntelange Bond-Konventionen zusammen nicht der richtige Weg ist. Nicht der eigene. Also wieder vier Jahre Pause.

Skyfall. Am Boden. Umgeben von Krisen, Sozialabbau, Werteverlusten. Aber auch mit beiden Beinen auf der Erde. Der Blick gen Horizont. Wo? Wohin? Der Figur James Bond und damit den Verfilmungen eine Standort- und Identitätsbestimmung verschaffen. Woher? Eine klassische Actionszene eröffnet den 23. offiziellen Film, wilde Stunts und Verfolgungsjagden, aber im Gegensatz zum hektischen Ein Quantum Trost lässt sich das Geschehen auch erkennen (und leider ebenso die Stuntdoubles). Ein fehlgeleiteter Schuss aus den eigenen Reihen, ein Himmelssturz von einer Brücke und Bond erholt sich auf einer Tropeninsel, im Geheimen. Männer wie er steigen jedoch nicht aus und trinken den ganzen Tag kaltes Bier. Erst recht nicht, wenn statt eines Schurkenunterschlupfes am Filmende das Hauptquartier seines Arbeitgebers MI6 zu Beginn explodiert - nicht Skyfalls einziger motivischer Tapetenwechsel. Nicht in Topform, aber mit weiterhin neidisch machender Statur und Kondition, nimmt 007 die Arbeit auf und versucht wiederum klassisch, die graue Eminenz hinter dem Anschlag zu enttarnen. Exotische und recht wirr verbundene Plätze rund um den Globus stehen auf dem Plan, die James Bond über all seine Inkarnationen hinweg schon langsam alle kennen dürfte. Klassisch. Und modern inszeniert, doch nicht mit wildem Kameragehampel, sondern betörenden Bildern voller strahlend farbigem Licht und Kontrasten aus Hell und Dunkel, untermalt von gelungener Musik.

Dann das Zusammentreffen mit dem Schurken - James Bond geht gewohnt bewusst in die Falle -, der in einer Ruine haust und wortwörtlich aus dem Hintergrund hervortritt. Ex-Agent Silva (Javier Bardem) möchte nicht die Welt beherrschen, untergegangene Reiche zu neuer Größe führen oder Erdöl klauen. Er will Rache - an Bonds Vorgesetzter M (Judie Dench), von der er sich verraten fühlt. Diese emotionale Motivation zieht ein quasifamiliäres Dreieck zwischen den genannten Figuren auf und auch die MI6-Seite kämpft nicht selbstlos für die Queen: Beide, Bond und M, wollen beweisen, dass sie es noch drauf haben. Silva mag der Gegenspieler mit dem persönlichsten Antrieb der Bond-Ära sein, sicherlich einer der wunderlichsten: Redegewandt, Singsangstimme, jedoch etwas zu manieriert mit homosexuellen Anwandlungen. Insgesamt fast unfreiwillig komisch (deutsche Synchronisation?), zu berechnend-brav. Ein brillanter Hacker, doch solche - wieder einmal übertrieben mächtig bis unlogisch dargestellten - Fähigkeiten bleiben wenig greifbar, zumal er sich nicht dem Cyberterrorismus verschreibt und spätestens in Handgreiflichkeiten fern eines Laptops kaum Bedrohungspotential aufbaut.

Skyfall ruht also auf einem emotionalen Beziehungsgeflecht, zumal der Film in der zweiten Filmhälfte geradezu asketisch wird. Hilfreiches Agentenwerkzeug hatte der analoge Held, wie Tobberich ihn oben nannte, schon im Vorgänger kaum noch zur Hand, nun nicht einmal mehr ein Smartphone, sondern tatsächlich bloß die berühmt-langweilige Pistole Walther PPK samt billiger Leuchtdioden und einen sperrigen Peilsender, der wahrscheinlich nicht digital arbeitet. Überhaupt bleiben die Errungenschaften moderner Technik blass, dienen vor allem Silva oder bedürfen stets der Hilfe Bonds: Der neue Q (Ben Wishaw), ein eher nerviger Hipster-Nerd, fragt trotz Vollüberwachung stets, wo Bond genau was mache und gibt auch sonst keine glückliche Figur ab. Auf all diese Unterstützung verzichtet Bond, wenn er in plötzlich trister Umgebung den Feind zu sich kommen lässt, um diesen mithilfe der eigenen Vergangenheit zu schlagen. Der berühmte Aston Martin dient als wehrhaftes Gefährt, das in einer vergessenen Garage wie ausgemustert abgestellt war und gelegentlich wohl von Sean Connery poliert wurde.

Und wenn zum Schluss der emotionale Kreis sich schließt, wird erkennbar, dass eine James-Bond-Verfilmung zwar ohne überlebensgroße Standardzutaten funktionieren kann, aber so kein übermäßig spektakulärer Film herausspringt. Und die zum Ausgleich gedachte Zuschauerbindung zu den Charakteren bleibt zu zart, als dass Skyfall auf der Gefühlsebene glänzen könnte, denn trotz aller Vermenschlichung von Bond oder M bleiben diese immer noch Archetypen mit dem Gewicht eines halben Jahrhunderts auf ihren Schultern. Anfangs ein guter, teils neu geeichter Bond-Film mit leisen Reminiszenzen, schließlich ein nüchternes Actiondrama, welches dabei ohne 007 und Co. wohl besser funktioniert hätte, immer gekonnt inszeniert. Nun ist alles Fett weggeschnitten und gleichzeitig vieles wie zu Beginn der Saga. Auch oder gerade in heutigen Zeiten, in denen das Individuum in der allgegenwärtigen Vernetzung aufgeht, ist Bond von Bedeutung, ein Zeitloser gegen unklare Feinden in den Schatten.

James Bond wird einmal mit dem ehemals stolzen Segelschiff verglichen, das in einem Gemälde von einem Dampfer abgeschleppt wird. Doch mit geradezu archaischen Mitteln überlebt er - das vermeintlich alte Eisen - auch diese Mission und so pflügt in einem anderen Wandbild während der Einsatznachbesprechung folgerichtig eine Armada von Großseglern unter vollem Wind durchs Meer. Der Weg scheint frei, das Ziel sehen wir noch nicht.

SKYFALL, JAMES BOND 007 von Sam Mendes (R), Neal Purvis (B), Robert Wade (B) und John Logan (B), UK/USA 2012, IMDb, RT, FZ. Bildrechte: © Sony Pictures

2 Kommentare:

  1. "Skyfall ist einer der besten Bond-Filme, den ich bis jetzt gesehen habe."

    Ab dieser Stelle habe ich aufgehört zu lesen! :/

    AntwortenLöschen